Ich bin Jäger, unser Revier liegt in Nordsachsen bei Delitzsch. Ich kenne jeden Hochsitz, jede Schneise, jede Wildwechselstelle wie meine Westentasche. Und doch hat mich die Natur an einem Sommerabend vollkommen überrascht – mit einer Begegnung, die ich nie vergessen werde.
Es war der 24. Juni, gegen 22:30 Uhr. Ich war mit meinem Vizsla-Rüden Arik unterwegs – ein abendlicher Kontrollgang durchs Revier, wie ich ihn regelmäßig mache. Arik ist ein ruhiger, konzentrierter Jagdhund, der sich draußen perfekt auf mich einstellt. Mit dabei hatte ich meine Wärmebildkamera, denn gerade in der Dämmerung lassen sich so Wildtiere gut erkennen, ohne sie zu stören.
Plötzlich zeigte die Kamera eine Wärmequelle in einiger Entfernung. Nichts Ungewöhnliches, dachte ich zunächst. Aber es sah nicht aus wie die typischen Wildtiere, die ich sonst beobachte. Das Tier glich einem Pferd. Doch irgendetwas irritierte mich. Die Bewegungen waren langsam, aber nicht typisch für ein Pferd, die Proportionen schienen nicht ganz zu passen.
Meine Neugier war geweckt. Gemeinsam mit Arik pirschte ich mich vorsichtig näher heran. Er spürte sofort, dass etwas anders war als sonst – blieb dicht bei mir, ruhig, fast lautlos. Als wir eine geeignete Deckung fanden, legten wir uns zum Beobachten hin.
Und dann sah ich sie. Erst undeutlich, dann immer klarer: eine Elchkuh. Ich traute meinen Augen kaum. Ein Elch – hier, mitten in Nordsachsen! Ich war wie elektrisiert. Mit zittriger Hand nahm ich die Wärmebildkamera hoch, machte eine Aufnahme und schickte sie sofort an ein paar befreundete Jäger und Wildbiologen.
Die Antwort kam schnell: Das Tier sei bereits bekannt – eine Elchkuh namens Elvira, die in den letzten Wochen mehrfach in Sachsen-Anhalt gesichtet worden war. Nun also war sie offenbar weitergezogen – bis in unser Revier.
Ich pirschte weiter, vorsichtig, voller Ehrfurcht. Bis auf etwa 60 Meter kam ich heran. Elvira stand ruhig da, fraß gemächlich und war sich meiner Anwesenheit wohl bewusst, aber nicht beunruhigt. Es war ein stiller, kraftvoller Moment. Zwei Stunden lang begleitete ich sie, immer mit Respektabstand. Ich war vollkommen fasziniert, demütig und voller Freude.
Als ich spät in der Nacht zurück nach Hause kam, war ich aufgewühlt. Solche Begegnungen erlebt man nicht zweimal im Leben.
Doch es kam anders: Schon am nächsten Abend, gegen 21 Uhr, zog es mich wieder hinaus. Diesmal bezog ich einen Ansitz um auf Wildschweine zu warten. Und tatsächlich: Bei einbrechender Dämmerung trat Elvira wieder aus dem Wald. Diesmal im Tageslicht, noch eindrucksvoller als am Vorabend. Ruhig, selbstsicher, beinahe majestätisch bewegte sie sich durch das hohe Gras vor mir.
Ich habe in meinem Jägerleben viel Wild gesehen – aber nichts hat mich so bewegt wie diese Begegnung mit Elvira. Ein Elch im Revier, mitten in Nordsachsen – das ist mehr als nur eine außergewöhnliche Sichtung. Es ist ein Zeichen, dass die Natur immer wieder neue Geschichten schreibt. Und ich bin dankbar, dass ich dieses Kapitel miterleben durfte.
Waidmannsheil
Daniel Eichler





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